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Gewitterregen, Anarchie, Liebe

Der Sprungturm steht alleine im Tag, nackt ragt sein Körper ins Grau, die Arme steif gestreckt in den Wind. Störrisch harren die Sprossen nutzlos und kalt ihrer angeborenen Position. Das verlassene Drei-Meter-Brett seufzt leise schwankend im Nichts.

Am Grund des Beckens tobt zwischen entblößten Kacheln ein Rest von Erinnerung, längst abgelassen ist das Geschrei. Kein Rentner verbringt hier seine letzten Bahnen, kein Mensch ist in Sicht.

Auf den morschen Liegewiesen sonnen sich vergessene Blätter faltig und braun im vorletzten Licht, brauchen Hasen keine Handtücher zur Sitzplatzreservierung.

Die fleischlosen Schatten der Bäumen fallen welk und leer auf das, was jetzt nur noch Boden ist. Die Endmoräne leckt von unten am Rasen.

Die lederfarbenen Herren mit Schirmmützen und zu engen Badehosen sind hinter den durchsichtigen Hecken verschwunden, der Geruch von Pommes, Chlor und Sonnencreme ist längst weitergezogen. Das Kinderbecken sieht ohne Inhalt noch älter aus.

Eine Kabinentür zeigt dem Wind monoton die Minuten an, erzählt ihre Geschichten in den Tag, aber niemand hört zu. Dem in die Jahre gekommenen Bodenbelag vor den Umkleidekabinen hat der Nieselregen die Fußabdrücke genommen, wie früher einmal die Hitze. Das dunkelblaue Gitter am Eingang steht verschlossen, die Jalousie am Schalter hängt schief. „Gewitterregen = Anarchie = Liebe“ hat jemand darauf geschrieben und hatte zum Schluß keine Lust mehr.

Unter den hohen Kiefern am Parkplatz liegen noch die rotbraunen Nadeln, über die wir im Sommer mit nackten Füßen zu unseren Rädern gelaufen sind, aber wahrscheinlich sind es längst schon die nächsten.

Erstmals erschienen in:
Horst, Hund und Brodt — Erste und letzte Texte
Erhältlich als eBook zu »Das Grau, die Tage«