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Im Grün, die Himmel über uns nur Artefakte

Im Grün, die Himmel über uns nur Artefakte

Wir liegen auf unseren flugfeldgroßen Matratzen, in unseren sauberen Weißraumwohnungen, und winden uns im grellen Schein strahlender Geräte, in denen wir die letzten Reste von Zwischenmensch- lichkeiten vermuten, die Mägen voll von gähnender Leere, welke Hüllen, kalt und schwer.

Wir zerren an unseren Bettdecken, stopfen wie Wahnsinnige alle leckenden Stellen zum uns umgebenden Nichts, um wenigstens die eigene Körperwärme zu konservieren, taumeln taub und benommen mit kalten Füßen in der Dunkelheit vor uns hin, lauschen in der Weite des luftleeren Raumes dem gierigen Lecken der blauen Zungen, die gurgelnde Wellen aus Eiswasser durch die Lebenserhaltungssysteme unserer sorgfältig ein- gerichteten Behausungen pumpen, während sich unsere Kontostände langsam in trockene Heizungsluft auflösen. Wir tauchen kopfüber in Wolluniversen und verstecken unsere zitternden Körper in gigantischen Konstruktionen aus Schals und Mützen, stülpen endlose Paare aus Socken über jedes noch so funktionale Stück Fleisch. Der Schnee bringt die letzte mögliche Variation von Grau mit sich, der Tag bricht unentschlossen über den Wipfeln der Stadt, in den Häuserschluchten stapelt sich schmutzig an den Rändern der großen Wege die Zeit.

Wir reiben unsere nackten Fassaden verzweifelt an Kaffeebechern aus Pappe, fliegen durch dichte Wolken aus Atem und stolpern durch die blassen Ruinen unserer längst untergegangenen Träume hinab in den zugigen Schoß der Stadt, starren unter zirpenden Neonröhren inmitten der bleichen Masse unbewegt in die Welt, die sich über unseren Köpfen langsam aus der Dämmerung erhebt. In den Fabriken verrichten wir unsere Arbeit an Fließ- bändern voller Unwahrscheinlichkeiten, doch das Einzige, was wirklich an uns vorbeizieht, ist der Tag.

Am zu schnell nahenden Ende des aktuellen Zeit- abschnitts suchen wir in der Dunkelheit nach Lichtschaltern und anderen Optionen, finden uns vor offenen Kühlschranktüren wieder, schließen die Augen und wärmen unsere ausgetrockneten Gesichter im Schein speckiger Sonnen, bevor wir uns vorbeugen und uns in die Tiefe stürzen, um uns und den Sommer einen kurzen Augen- blick lang im saftigen Grün zwischen Erbsen und Brokkoli wiederzufinden, bleiben dort liegen und erinnern uns an die warmen Tage, die Tage, die jetzt plötzlich alle so wertvoll erscheinen, die Tage, die wir sinnlos verschwendet haben, die Tage, die man doch alle viel intensiver hätte verleben müssen. Und dann kommt die Kälte zurück und kriecht uns in die Knochen, und wir geben uns auf und lassen uns besinnungslos fallen, in die verheißungsvollen Arme von glutamatgetränkten Tiefkühlprodukten, die irgendwo tief unten in eisigen Plastiktruhen auf uns warten, und sind schließlich für eine Konsumeinheit glücklich.

Körperlos schweben wir über der weißen Ebene, über uns im blassen Himmel brennt grell und rund und erbarmungslos die Sonne und bis zum Horizont streckt sich flach und eintönig endlos das Salz.

Der Winter ist in uns und wir träumen auf zweiunddreißig Arten von Liebe.

Erstmals erschienen in:
WINTER MAGAZIN 2014
Erhältlich auf amagforallseasons.com